Katharina Bütikofer
Künstlerin und Kunstvermittlerin, Museumspädagogin
und em. Dozentin für Bildnerisches Gestalten an der
Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern
Die Rose ist ohne Warum.
Sie blühet weil sie blühet.
Sie achtet nicht ihrer selbst,
fragt nicht, ob man sie siehet.
Angelus Silesius, 1624–1670
Das Motiv der Blume durchzieht Kultur und Kunst aller Völker und Epochen bis in die Gegenwart in immer neuen, nie erschöpften Variationen. Blumen und Blumenbilder sind nicht nur Schmuck und Dekoration,sondern immer auch Symbole von Dahinterliegendem.
Sie stehen sichtbar für Unsichtbares, wie die Ikonen. Im festlichen Brautkranz, als letzte Rose im Grab, zeigt sich die Spannweite ihrer Bedeutung. Widerstandsfähigkeit und Genügsamkeit stehen neben Verletzbarkeit und verschwenderischem Blühen. Ihr Welken mahnt uns an die bittere Tatsache der Vergänglichkeit, ihr Aufblühen im Frühling lässt an Persephone denken, die den winterlichen Hades nur für die Zeit der Vegetation verlassen darf.
Ohne diese vielschichtige Sicht auf die Blumenwelt lassen sich die Bilder von Anna Achilleos kaum lesen. Im Atelier. Die Bilder liegen auf dem Tisch, stehen auf Staffeleien und hängen an der Wand. Ich trete ein in eine reiche Farbenwelt. Es ist die festliche Atmosphäre, die mich fasziniert, nicht Einzelheiten oder botanische Zuordnungen. Hier liegt eine Bildgruppe von grosser Einheitlichkeit vor mir, ein Gesamtkunstwerk, Die Künstlerin bestätigt, dass diese Werkgruppe die Ernte eines einzigen Sommers ist. Die Bilder sind in einer intensiven, fast klausurartigen Arbeitsphase unter der Sonne ihrer zypriotischen Heimat entstanden.
Unwillkürlich muss ich an die Begeisterung van Goghs für die Sonnenblumen unter dem heissen provenzalischen Himmel denken.
Nach dieser Gesamtschau, diesem emotionalen Einstieg, kann ich mich nun den einzelnen Werken zuwenden. Im schräg einfallenden Streiflicht ist die Oberflächenbeschaffenheit der liegenden Bildplatten
besonders gut wahrzunehmen. Ich erkenne das Besondere: Dieser transparente Schmelz kann nur durch die Technik der Enkaustik (Wachsmalerei) erreicht werden.
Als Anna Achilleos in ihrem Studium der Archäologie die Mumienporträts aus Fayum kennen lernte, wusste sie intuitiv: Diese Malerei wird mich nicht loslassen. Einmal werde ich diese geheimnisvolle Technik der Spätantike selbst aktiv erkunden. Sie hat
diesen Plan verwirklicht. Als Künstlerin hat sie auf die Enkaustik zurückgegriffen, ohne die alte Technik, die der Wissenschaft immer noch Rätsel aufgibt, zu imitieren. Sie hat eigene Wege und Zugriffe erprobt und selbständig weiterentwickelt. Eine Holzgrundlage,
gereinigter Bienenwachs, Dammar, Farbpigmente, Pinsel, Spachtel und Feuer sind die Materialien eines komplexen Malvorganges, der vor allem im Auftragen und Bearbeiten von Schichten besteht. Mit der Hand fahre ich über die Bildfläche und ertaste die Wachsschichten. Sie fühlen sich an wie feine Haut über Adern und Knochen. Ein Blinder könnte dieses Bild lesen, könnte den Geruch des Wachses riechen,
könnte mit seinen Fingern die Ränder ertasten, die das Bildquadrat rund und weich, wie der Saum eines kostbaren Tuches, umfassen.
Ich erkenne allmählich auch die Tiefenwirkung der Bilder, welche die Blumen oft räumlich erscheinen lässt. Zarte Wachsschichten überlagern sich, lassen Farben opalartig durchscheinen, verfliessen im Grund.
Was leicht hingeworfen scheinen mag, erweist sich als komplexe Schichtenmalerei, deren Auftragen von der Künstlerin völlige Präsenz und Konzentration verlangt. Sie arbeitet stehend, unterEinsatz des ganzen Körpers. Das schnelle Aufpinseln des flüssigen Wachses, das Bearbeiten mit dem Feuerstrahl, der zum Pinsel wird, erlaubt keine Nachlässigkeit.
«Wenn ich male, ist es wie Tango tanzen mit Feuer und Farbe».
Das Bild gelingt, wenn sich Konzentration und Spontaneität,
Anspannung und Loslassen das Gleichgewicht halten. Rhythmisch verteilte, flächenfüllende Blumengruppen bedecken die durchwegs quadratischen Bildflächen. Gerade dieses strenge Format gibt der Werkgruppe ihre Einheit. Das Quadrat fasst die kostbaren Flächen
wie die Fassung einen wertvollen Stein. Das Quadrat hat kein Oben und Unten, es strahlt in alle vier Richtungen gleichwertig aus und eignet sich deshalb, die organischen Formen aufzunehmen und nach allen Seiten ausdehnen zu lassen. Es ist wie in barocken Gärten, wo
präzise Begrenzungen der Beete die innere Leuchtkraft der Blumen steigern. Paul Klee liebte die Bildränder und ermunterte seine Schüler, die Bilder als geistige Übung über die vier Ränder hinaus weiterzudenken. Dies ist bei Annas Bildern ein leichtes Spiel, denn sie malt ihre Motive meist von oben, aus der «Vogelschau».
Mein Blick fällt auf ein einzelnes Bild mit Lilien. Auf graubraunem Grund, wohl den kargen zypriotischen Sandsteinboden evozierend, breitet sich ein transparentes, grünes Blättergeflecht aus, auf dem
vierzehn liliena tige Blüten wie flatternde Vögel schweben. Jedes Blatt, jede Form hat ihren Spielraum, nichts stört. Der heisse Strahl des Feuers hat die Blätter in Spitzenstickerei verwandelt. Die gelben Staubfäden wurden zu kleinen lodernden Feuern. Es ist ein ganz
besonderes Bild, das nie wiederholt oder kopiert werden kann. Und doch lenkt es meine Gedanken zu einem grossen Werk der Kunstgeschichte. Es gibt unzählige Bilder auf der Welt, die man mit Annas Kunst in Beziehung setzen könnte. Die Flämmchen im Lilienbild führen mich nach Bern, in die zweite Heimat der Künstlerin.
Im Historischen Museum hängt das grossartige, eine ganze Wand bedeckende Fragment des «Tausendblumenteppichs». Es ist eine Millefleurs- Tapisserie, die um 1466 in Flandern für den burgundischen Hof mit Wolle, Seide und Metallfäden gewirkt wurde. Unzählige Blumenstauden sind rhythmisch über den dunkeln Grund verteilt, jede eine in sich geschlossene Einheit wie ein Bild im Bild. Die meist von oben dargestellten Blüten, die Räumlichkeit der Blätter, der rhythmische Gesamteindruck, der Spirit der Aussage könnten an Anna Achilleos erinnern. Aufregend und unerwartet sind jedoch Feuerstahl und Feuerstein, die in die Blumenwelt eingefügt sind. Das Feuer geht
vom Stein aus und züngelt in Flammen durch die Blumen, ohne diese zu stören. Was auch diese Flammen vor mehr als 500 Jahren bedeutet haben mögen– für mich sind sie Symbole für das vorliegende Werk von Anna Achilleos:
Auch sie bringt Feuer mit Blumen in Verbindung – aber aus dem realen Feuer wird hier wie dort das geistige Feu Sacré, das Feuer, das inspiriert und zu Kreativität und Kunst führt. Wenn Betrachtende in den Blumengarten dieser Künstlerin treten, ist es ihnen frei überlassen, wo sie stehen bleiben, welche Blume sie pflücken möchten, welche Erinnerungen, welche Gefühle aufsteigen, welche Farben sie bevorzugen und warum sie gerade dieses Bild besonders mögen. Die Bilder sind mit Wachsen und Werden verbunden, mit den Elementen
Erde, Luft, Wasser und Feuer, mit der Insel im Mittelmeer. Vieles wird klarer durch Erklärung, jedoch das Geheimnis bleibt. Manchmal kommt ein Lied oder ein Gedicht der Empfindung näher, so wie es dem grossen griechischen Dichter Yannis Ritsos 1909 – 1990 in einem der «Achtzehn kleine Lieder der bitteren Heimat» gelungen ist:
Gespräch mit einer Blume
Zyklame, Zyklame in der Felsenspalte
Wo fandest du Farbe zum Blühen
und wo den Stengel zum Bewegen?
Aus dem Felsen entnahm ich Blut, Tropfen um Tropfen,
strickte ein rosenfarbenes
Taschentuch und sammle nun Sonne.
Katharina Bütikofer
Künstlerin und Kunstvermittlerin, Museumspädagogin
und em. Dozentin für Bildnerisches Gestalten an der
Universität Bern und der Hochschule der Künste Bern